Der innere Kompass

Ich habe das ganze Wochenende auf dem Sofa mit Wintersport schauen verbracht. Seit ich Kinder habe habe ich das nicht mehr gemacht, weil ich tagsüber den Fernseher nicht anmachen wollte, und weil ich keine Erlaubnis hatte den Tag vor dem Fernseher zu verbringen.

Jetzt kam mir natürlich mein Sohn zu Hilfe, der das unbedingt anschauen wollte, aber ich habe bemerkt, dass ich mir die Erlaubnis zu Nichtstun geben konnte.

Am Abend hatte ich einen richtigen Quadratschädel, ich konnte das Bedürfnis nach frischer Luft ganz deutlich wahrnehmen. Also bin ich kurz im Garten rumgelaufen. Kleinste Schritte. Wenn ich von mir verlangt hätte in den Wald zu gehen oder so, dann wäre der Schritt viel zu groß gewesen und ich hätte es gar nicht gemacht.

Das ist mir überhaupt aufgefallen. Wenn in mir der Kampf tobt, der eine Teil will etwas und der andere will es verhindern, dann kann ich nach dem kleinsten Schritt suchen, so dass alle Teile damit einverstanden sind. Dann hört der Kampf sofort auf. Und aus dem kleinen Schritt kann noch ein größerer werden, oder auch nicht, aber das spielt dann keine Rolle mehr.

Kaum schreibe ich das, schon fällt mir die Wäsche wieder ein. Die verdränge ich regelmäßig. Trotz zig Eintragungen in den Kalender.

Der Widerstand ist groß und steht wie meistens im Vordergrund. Nicht dass ich den nicht schon gefühlt eine Million mal hinterfragt hätte, es ist der rebellische Teil, der grundsätzlich mit aller Vehemenz gegen alles ist. Dem kann man mit Vernunft oder Verantwortung nicht kommen, das interessiert ihn nicht.

Jetzt brauche ich die Sehnsuchtsmutter, sie liebt einfach alle, sie ist die Liebe selbst. Heute kann ich nicht einfach über die Grenze schreiten, es ist recht viel Grau über das Licht, ich brauche das konkrete Bild um mich zu verbinden. So geht es aber.

Und wie ist es jetzt? Sofort fühle ich mich in meinem Leben zuhause. Ich spüre ein warmes Gefühl in der Brust, und Freude darüber, dass ich ich bin. Die Wäsche ist immer noch nicht besonders spannend, aber ich liebe mein Leben, und sie gehört nun mal dazu, also ist es leicht es in Angriff zu nehmen, ohne viel nachdenken, ohne Zweifel.

Viel später. Werde mit der Büroarbeit, die ich mir für heute vorgenommen hatte nicht fertig, vier Mal Hausaufgaben korrigieren plus für zwei Schulaufgaben lernen haben viel länger gedauert als erwartet.

Druck im Kopf, brauche eine Pause, der Teig fürs Abendessen muss noch gehen, hätte eine gute halbe Stunde Zeit.

Fahrradfahren oder im Garten rumlaufen. Es zieht mich in den Garten, frische Luft. Aber ein Teil will aufs Fahrrad, intensive Bewegung. Die Tür beim Fahrradfahren aufmachen geht nicht, viel zu kalt (für die anderen). Ich kann keine Entscheidung treffen. Ich verbinde mich.

Verbunden merke ich sofort, es gilt die Zeit nicht zu vertrödeln, sondern sie für mich zu nutzen, erst ein wenig raus, das Bedürfnis nach Luft ist groß, und wenn es noch geht, noch ein wenig aufs Fahrrad, mal schauen.

Hach, kaum war ich draußen wollten die Kinder eine Schneeballschlacht machen, also Luft und Bewegung. Wenn man seiner Intuition folgt, fügt sich eins ins andere.

Überhaupt ging heute viel, ich hatte mehr Energie als sonst zur Verfügung.

Für mich ist der Unterschied in der Übernahme von Verantwortung, in der Anerkennung der Realität, im Ausfüllen des Lebens, das ich führe. Weil mein Überlebensmodus ‚Nichts-Mitbekommen‘ und ‚Im-Zweifel-ist-alles-egal‘ heißt.

Für mich reicht es auch nicht mehr aus, nur zu fühlen was ist, das ist die Voraussetzung und das kann ich schon lange, aber nur fühlen was ist zieht mich nur weiter in den Sumpf.

Erst die aktive Verbindung mit dem freien, liebevollen Teil in mir, eröffnet mir das neue Land.

Ich fliege zwar ständig raus, bei jeder Anforderung, bei jedem Unwohlsein, aber im Gegensatz zu früher, ist Rausfliegen kein Drama mehr, ich kann ja wieder rein. Und genau wie früher, als ich erst meinen Körper gar nicht fühlte, dann manchmal und irgendwann meistens, so bin ich zuversichtlich dass sich meine Aufenthalte im neuen Land mit Übung und Bewusstsein verlängern werden und immer selbstverständlicher werden.

Was auch interessant ist, da meldet sich die letzten Tage ein Kritiker, der meint ich könne doch nicht dauernd schreiben wie schön alles ist.

All die Jahre, als ich in einen ständigen Sumpf war, war es völlig in Ordnung, das auszubreiten, aber einen Fortschritt soll ich doch bitte nicht so betonen.

Nein, sagt die Liebe, die Betonung des Negativen hält es am Laufen, das was meine Aufmerksamkeit bekommt wächst. Mit Negativem meine ich nicht das was ist, unangenehme Gefühle oder Ereignisse, sondern die Dramaspirale in die ich dann eintauche.

Neulich im Seminar hat uns die Dozentin erzählt, dass (schwer) Depressive ihre Depression ständig füttern, egal was passiert, sie interpretieren es so, dass es sie runterzieht. So nach dem Motto: ‚Ja, ok du schenkst mir die Welt, aber ach, das hat mir schon mal jemand geschenkt, das hat auch nichts genützt.‘ Solange sie also aktiv die Gedankenspirale am Laufen halten, so lange ist es völlig egal was passiert, es wird auf eine negative Art interpretiert.

Da ist mir sofort aufgefallen, genau so mache ich es mit dem Drama. Bis jetzt. Nun kann ich aussteigen. Es ist möglich.

Kann ich gleich nochmal üben, meine jüngste Tochter hat einen etwas unstimmigen Magen. Sofort kommt die dunkle Wolke der Bedrohung. Vielleicht wird sie krank, und dann vielleicht wir alle, oh nein, Panik!

Ich verbinde mich. Bei Panik ist es am schwersten. Bitte hilf mir es anders zu sehen!

Ich fühle ganz viel Mitgefühl für mich, weil ich bei solch alltäglichen Begebenheiten in Angst gerate. Ich habe ganz viel Verständnis für diesen Teil, der nicht anders kann, ich halte ihn in meiner Umarmung. Mehr geht im Augenblick nicht, hier ist Schluß, trotzdem ist es gut, der Frieden kehrt ein.

Und auch das ist erstaunlich. Bis jetzt habe ich von außen entschieden was ich mache, Erforschen ober nur begleiten usw. Jetzt, wenn ich verbunden bin, ist es von innen ganz automatisch klar was ich brauche und auch wo die Grenze ist.

Ein Teil hätte am liebsten keine Angst mehr, aber die Liebe weiß, das geht im Moment einfach nicht, das wäre eine Anstrengung, eine Überforderung. Dieser innere Kompass ist einfach klar. Unmissverständlich. Führt mich ganz sicher entlang des schmalen Pfades zwischen Drama-Sumpf und Überforderung durch zu viel wollen.