Alles will nur mehr Liebe

schmetterlinge

Ich bin heute morgen schon so aufgewacht. Mit einem undefinierbaren unguten Gefühl. So dass ich mich entscheiden muss, ob ich den Tag damit verbringe es zu verdrängen oder ob ich mich dem sofort stelle und schaue was da los ist.

Ich merke, dass Möglichkeit eins gar keine echte Option mehr ist, all die Jahre Erfahrung haben mich gelehrt, dass kein Geheimnis so dunkel und so bedrohlich sein kann, dass dessen Aufdeckung nicht eine Erleichterung mit sich bringen würde, eine Erleichterung, die tausendmal besser ist, als dieser halbgare Zustand der Verdrängung und der Ablenkung. Der bei mir früher oder später auch noch mit Essen endet.

Trotzdem ist diese Wolke jedes Mal eine Bedrohung, wir müssen wohl jeden Tag aufs Neue die Entscheidung treffen Helden und Heldinnen zu sein. Die Angst an die Hand nehmen und weitergehen.

Eine der besten Methoden, die ich kennengelernt habe, um einem verborgenen undefinierbaren Gefühl auf die Spur zu kommen ist, alles was ich denke oder im Körper fühle ungefiltert aufzuschreiben. Irgendwann kommt ein Satz, der eine starke emotionale Reaktion hervorruft, und der ist es dann, darum geht es dann gerade.

Denn oft schreien immer die gleichen Anteile ganz laut in uns, und andere Anteile, die viel leiser sind, werden von uns nicht gehört, wirken aber trotzdem gründlich im Verborgenen.

Ich fange an:

Spannung im Kopf, Druck auf der Brust.

Zittern im Magen.

Warum fühle ich mich so?

Was soll das?

Es gibt doch gar keinen Grund?

Ich fühle mich einfach elend.

Es hat alles keinen Sinn.

Egal was ich mache, ich fühle mich elend und bleibe dick.

Es gibt nichts was ich tun kann um abzunehmen.

Abnehmen kann ich aus eigener Kraft nicht, ich habe es nicht in der Hand.

Ich will aber unbedingt dünn sein! Ich will so dringend dünn sein!

Beim letzten Satz werde ich von Schauern erfasst, Tränen schießen mir in die Augen. Das ist es, ja das ist es worum es geht.

Sofort wird mir auch klar warum. Ich bin ein Prozess der Ent-Täuschung durchlaufen. Der Glaube, ich müsste nur das Richtige finden, gut genug üben oder was auch immer tun, um endlich abzunehmen ist jeder Grundlage beraubt worden. Gut so, ich weiß, und trotzdem tut sich ein Loch auf.

Ich habe gerade ein tolles Buch gelesen: ‚Wohl in meiner Haut‘, das dicken Menschen helfen will, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. Neben vielen spannenden Fakten, wie z. Bsp. dass das Gewicht kein Indikator für Gesundheit und Langlebigkeit ist, ganz anders als uns überall andauernd erzählt wird, werden einige sehr gute Übungen vorgestellt und mit Beispielen erklärt, so dass man sie gut selbst anwenden kann.

Es werden jede Menge Studien angegeben, die unter anderem ergeben, dass Diäten zu 95% nicht wirken, das wissen wir ja schon lange, dass das Gewicht zu einem gewissen Teil genetisch vorbestimmt ist, und zwar durch die Art wir wir auf Stress reagieren, mit viel oder mit wenig Essen.

Und dass der Körper einen Set-Point hat, zu dem er immer zurück will. Die vielen Diäten, die wir im Laufe der Lebens machen können den Stoffwechsel sogar dauerhaft aus dem Gleichgewicht bringen, so dass dieser Set-Point viel höher ist, als er ohne all die Diäten gewesen wäre. Das so klar zu lesen fand ich sehr ernüchternd. Erklärt für mich einiges.

Ja, all dem kann ich zustimmen, es deckt sich mit meiner Erfahrung. Und auch das intuitive Essen ist kein Abnehmmittel. Zwar ist es ein riesiger Schritt in Richtung Befreiung und Wohlgefühl, aber dünn wird man davon nicht. Aber auch nicht dick. Auch die Autorin ernährt sich seit vielen Jahren intuitiv und hat ein konstantes aber hohes Gewicht.

So wie ich, und so wie viele andere, die ich kenne. Die, die schon dünn waren, blieben mit dem Aufhören der Diäten dünn, die die dick waren blieben dick. Ich kenne persönlich kein anderes Beispiel. Warum? Oder anders? Ist das also mein Schicksal? So wie meine Haarfarbe und meine Körpergröße?

Und was ist mit all denen, die behaupten mit den Diäten aufgehört zu haben und abgenommen haben? Wie Geneen Roth zum Beispiel? Was haben sie wirklich gemacht? Stimmt das überhaupt? Die Frage ist sehr berechtigt finde ich, denn wenn es stimmen würde, dann müsste es auch unter uns, die wir uns so lange schon mit dem intuitiven Essen beschäftigen auch mal einige geben, die abnehmen.

Aber es scheint so, dass wir unser Gewicht in etwa behalten, kleine Schwankungen nach oben oder unten mit eingeschlossen.

Es gibt also überhaupt nichts, was ich tun kann um abzunehmen, dauerhaft. Denn natürlich würde ich abnehmen, wenn ich nur noch esse, wenn der Magen leer ist und nur bis er leicht satt ist. Aber das ist nur eine weitere Vorgabe, gegen die der Körper bald mit unkontrollierbaren Essanfällen rebelliert. Und das Gewicht, das ich abgenommen habe ist ruck-zuck wieder drauf. Schon mehrfach ausprobiert.

Wenn ich mir also erlaube zu essen was mir gut tut, so viel mir gut tut, wann es mir gut tut, gut tut in einem ganzheitlichen Sinne und nicht nur bezogen auf die Hungerskala, so dass ein ‚Mmmhh, so fühlt es sich wohl an‘ in mir entsteht, und kein Kampf, weil ich eigentlich mehr essen will, die Hungerskala aber vorgibt es sei genug, dann bleibe ich dick.

Und jetzt kommt der Anteil ins Spiel, der unbedingt dünn sein will. Vor lauter Erkenntnis, dass ich nicht willentlich abnehmen kann, durfte der Anteil nicht gesehen werden, er musste vergraben werden, weil er eine Bedrohung darstellte für die neue Realität. Wenn ich nicht abnehmen kann aber ein Teil von mir so dringend dünn sein will, dann ist es doch gefährlich und quälend oder?

Jedoch alle unsere Anteile, die sich zeigen, wollen nur eines: noch mehr Liebe. Und dieser Teil, der mit diesem Schmerz leben muss, der braucht keine Verdrängung, keine Bekämpfung, er braucht gerade angesichts der Unmöglichkeit seinen Wunsch willentlich zu erfüllen, besonders viel Liebe und Trost, wie ein Kind, dass sich ein Pony wünscht und keines bekommen kann. Es braucht viel Trost und Zuwendung um den Verlust zu verarbeiten.

Ich habe diesen Verlust betrauert, Tränen geweint, mich getröstet. In mir ist es wieder still, Frieden ist eingekehrt. Danke.

4 Gedanken zu „Alles will nur mehr Liebe

  1. Liebe Candida,
    Ja, es ist wahr. Genauso, geradezu übermächtig war und ist der Wunsch dünn zu sein bei
    mir. Ich spüre in Energien hinein, was es mit mir macht und gemacht hat.
    Neulich habe ich nochmal den Satz gelesen: Abnehmen fängt im Kopf an. Dann dürfte ich nur noch ein Strich in der Landschaft sein, wenn das stimmte, denn die ganzen Vorgaben und Kontrollversuche kommen ja aus meinem Kopf. Den Körper habe ich hauptsächlich danach beurteilt, ob er den Vorgaben entspricht. Mein Körpergefühl entwickelte sich zum Glück durch das Erlernen von Energiearbeit dann fast von selbst- ich staune, welch ein Wunderwerk er ist. Er läßt mich beweglicher sein als vor zwanzig Jahren. Außerdem ist er das Tor zur eigenen Essenz, der Liebe und Leichtigkeit.

    Ich habe mich auch in den letzten Tagen nochmal gefragt, was die superschlanke
    G.Roth gemacht hat, auch einige ihrer Kurse daraufhin durchforstet. Ich weiss es nicht.
    Das Problem war, daß ich G. Roth und andere sehr Schlanke als Vorbild genommen habe. Dachte, ich muss zeigen: Ich kann es auch. Vorher kann ich mich öffentlich nicht zu dem Thema äußern.

    Es reicht. Jetzt werde ich mir nochmal das Buch: „Mythos Übergewicht“
    von Achim Peters zu Gemüte führen.

  2. Vielen Dank für Deine Worte, es tut gut zu wissen, dass man mit seiner Wahrnehmung nicht alleine ist. Und danke für den Buchtipp, werde ich gleich erstehen.

    Vielleicht magst Du mir noch erklären, was Du mit Energiearbeit meinst, das klingt spannend.

    Liebe Grüße

    Candida

  3. Liebe Candida,
    öfter schon habe ich festgestellt beim Lesen deiner Beiträge, hier und schon bei dem Vorgänger-Blog, uns bewegen zu ähnlichen Zeiten ähnliche Themen. Deswegen schaue ich immer gerne vorbei. Und es stimmt sehr, was du schreibst: viele schaffen es nicht, abzunehmen, ob mit innerer Arbeit oder äußerer Reglementierung.SuH hin – Diät her.
    Was mich zur Zeit bewegt, sehr, sehr schmerzhaft, ist das Thema „Herzenswünsche“. Und hier gehört das Thema schlanker zu sein als 122kg sicher dazu. Sehr sogar. Aber auch eine tiefe Verbindung zu mir, zu einem anderen Menschen, von Dauer.
    Ich habe viele Trennungen erlebt, sehr früh. Es gab im Herzen keine Kontinuität, weder zu meiner Zwillingsschwester, die bereits im Mutterbauch starb, noch zu meiner schwer traumatisierten Mutter, zu meinem unerreichbaren, gewalttätigen Vater. Meine ältere Schwester kam ins Internat, viele Umzüge brachten Trennungen von vertrauten Menschen (die gab es, sonst wär ich jetzt sicher nicht mehr). Bis heute gibt es dieses Muster, dessen ich mir inzwischen natürlich sehr bewusst bin. Und auch jetzt, als ich mich kürzlich nach über drei Jahren einer Therapeutin anvertraute und mich ihr öffnete – ja, mit einem Herzenswunsch – sagte sie spontan zu, diesen zu erfüllen – und vergaß es dann.
    Mich hat es sehr zerlegt. Und ich weiß schlicht nicht mehr weiter.
    Ich habe neulich gedacht, abnehmen ist eben auch ein „Herzenswunsch“. Und es i s t eine Herzenswunsch und keine von Außen aufgedrückte Erwartung.
    Und auch mir tut es gut zu wissen, dass ich mit meiner Verzweiflung nicht alleine bin.
    Es tut gut, deinen Blog zu lesen. Herzlichen Gruß Ulla

    • Liebe Ulla,

      wie schön von Dir zu hören! Danke für Deine Worte, das freut mich sehr.

      Was Du erlebst und erleben musstest ist weniger schön. Was mir spontan dazu einfällt, ist das dieser Teil, der so viele Trennungen erleiden musste besonders viel Liebe braucht. Es hat jedes Recht sich so zu fühlen. Jedes.

      Und zu dem Herzenswunsch ‚abnehmen‘. Ja, es ist so, zu wissen das ich nichts tun kann um abzunehmen kann die tiefe Sehnsucht danach nicht ersticken. Sie ist einfach da, und sie braucht auch mehr Liebe.

      Wohin das führt, das weiß ich nicht, aber es tut mir auch gut zu wissen, dass ich damit nicht alleine bin, danke.

      Liebe Grüße

      Candida

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