Ich bin bei dir, egal was passiert

Unterwegs zum samstäglichen Einkauf. Spannung, Unruhe, der Laden in dem ich einkaufe ist umgezogen, die Parkplatzsituation hat sich verschlechtert. Das ist der Auslöser.

Ich nehme mich an die Hand und bin bei mir, lass mich nicht alleine, es hilft, die Unruhe ist zwar noch da, aber sie überwältigt mich nicht mehr. Ich brauche zur Zeit einen konstanten Beistand, jedesmal wenn ich mich erinnere nehme ich mich an die Hand. Das scheint das Einzige zu sein wonach die verlorenen Teile in mir verlangen. Sobald die Hand da ist, können sie sich daran ganz fest halten und das Leben wird lebbar. Das ist schon mal was.

Ich habe keinen Parkplatz gefunden, ich laufe mit den schweren Tüten den ganzen Weg zum Auto. Wut ist da.

Das ist schlimm für dich oder?

Ja! Es sollte nicht so schwer sein.

Was sollte nicht so schwer sein?

Alles, das Leben.

Oh, das ganze Leben also, kannst du es genauer sagen?

Es sollte nicht so schwer sein den Tag ohne Strafe zu überstehen, es sollte nicht so schwer sein sich sicher zu fühlen, es sollte nicht so schwer sein sich richtig zu fühlen, es sollte nicht so schwer sein verstanden und gesehen zu werden. Es sollte nicht so schwer sein unterstützt zu werden. Es sollte nicht so schwer sein gehalten zu werden.

Oh mein Gott, du hast absolut recht, es sollte nicht so schwer sein. Und es war schwer für dich?

Nicht nur schwer, sondern unerreichbar. Ich habe mich angestrengt, alles gegeben, alles ausgehalten, und es war umsonst, es war nie soweit, es ist nie eingetroffen, die Sicherheit, die Unterstützung, die Liebe, das Richtig-Sein.

Ich breite meine Armen aus und umarme dieses Kind. Das alles braucht sie noch und nur durch mich kann sie es bekommen. Ich muss auch nicht perfekt sein, es reicht darauf ausgerichtet und bereit zu sein.

Ich komme mir den Einkäufen nach Hause. Es sieht aus hier, ich versuche alles einzuräumen während alle anderen in die Küche kommen, sich was zu essen machen, herumbröseln und alles stehen lassen. Wut ist da. Große Wut.

Das ist so gemein, so unglaublich gemein, ungerecht.

Was ist ungerecht?

Dass ich nicht zähle, dass mir niemand hilft, dass es allen völlig egal ist wie ich mich fühle.

Hast du das Gefühl früher schon mal gefühlt?

Ich sehe mein ganzes Leben rückwärts vorbeiziehen, das war immer da, in dieses Gefühl bin ich hineingeboren. Ich zähle nicht, meine Gefühle und Wünsche zählen nicht, solange sie mit den Wünschen und Vorstellungen der anderen kollidieren.

Ich sehe mich als Baby weinen, meine Mutter voller Panik hat nur eins im Sinn, ich soll endlich aufhören, sie erträgt es nicht, was ich habe interessiert sie nicht wirklich, nur unter dem Aspekt ob es ihr hilft mich zum Schweigen zu bringen.

Ich sehen mich als 2,5jährige bei meinen Großeltern, dort hatten mich meine Eltern für rund sechs Monate abgeladen, weil meine Mutter arbeiten wollte. Am Wochenende kam sie immer, sie ging jeden Sonntag wenn ich schon schlief, ohne sich zu verabschieden, und versicherte mir immer, ich könne ruhig schlafen, sie würde nicht gehen. Sie hat mich eiskalt immer angelogen, damit sie es nicht aushalten muss, dass ich weine wenn sie geht. Meine Oma erzählt es gern als lustige Anekdote, dass ich montags beim Aufwachen gern gesagt habe: Schau mal an, diese ausgefuchste Mutter hat mich schon wieder reingelegt (versuche das sinngemäß zu übersetzen).

Ja, hier geht es um meine Mutter, alles was sie nicht ertragen konnte, und das war viel, durfte es bei mir nicht geben. Kein Leistungsturnen weil meine Mutter Angst hatte, dauernd tausend Klamotten, weil meine Mutter fror, das Essen, dass meine Mutter für richtig hielt wurde mir reingestopft.

Und dabei fühle ich ganz deutlich, das was ich mitgenommen habe geht weit darüber hinaus, dass ich nicht so sein darf wie ich bin. So wie ich bin, bin ich böse, ich tue etwas Schlechtes indem ich meinen Vorlieben und Bedürfnissen folge, denn es ist schlecht so zu sein. Genau das war es. So habe ich mich ein Leben lang gefühlt.

Und du, die das so ungerecht findest, du Wut, du warst und bist schon immer auf meiner Seite, du hast mir geholfen, dass sie mich nicht völlig auslöschen konnte, du hast die Fahne hochgehalten für alle Teile, die nicht erwünscht waren und hast tapfer und ausdauernd dieses Gefühl der himmelschreienden Ungerechtigkeit verursacht, weil es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ist! Ich verstehe das endlich, ich danke dir sehr dafür.

Das alles wurde mir gezeigt, hat sich offenbart einfach nur weil ich mich nicht verlassen habe.

Wir sind alle verlassen worden, man hat uns mit uns allein gelassen, zu einer Zeit, als wir allein nicht überlebensfähig waren. Weil aber Leben viel tut um zu leben, haben wir uns abgespalten um die tödliche Überwältigung nicht zu spüren.

Wieviel Hoffnung und Zuversicht das doch in sich trägt! Obwohl das Leben weiß, was diese Abspaltung langfristig für Konsequenzen hat, entscheidet es sich trotzdem dafür, weil es offensichtlich der Meinung ist, dass es geheilt werden kann. Sonst würde es keinen Sinn ergeben. Das Leben will nicht dass wir vor uns hin vegetieren.

Deswegen schickt es uns Situationen, die diese Anteile heilen sollen. Denn sie können nur geheilt werden, wenn das Gefühl mit Beistand gefühlt wird. Der Beistand ist hier essentiell. Alleine und verlassen fühlen hat keinen Wert. Heilsam ist es nur, wenn jemand da ist der uns begleitet, was auch immer kommt. Der uns nicht verlässt. Und nichts von uns will. Und uns nicht anders haben will.

Das Leben will das wir das können. Uns beizustehen komme was wolle, bei uns zu bleiben ohne uns ändern oder verbessern zu wollen, bis wir gelernt haben uns bedingungslos zu lieben. Bedinungslose Liebe ist bedingungsloser Beistand ohne Erwartungen. Ich bin bei dir, egal was passiert.

Das ist es was alle Kinder brauchen.